Punk hatte schon immer Freude daran, gegen
schmerzende Schienbeine zu treten. Das konnte schwerwiegende Konsequenzen
haben. Im kapitalistischen Westen - wo Punk entstand - aber mehr noch im
kommunistischen Osten, wo freie Meinungsäußerung sehr relativ war. Wutanfall
war eine der ersten Punkbands in der DDR. Sie erlebten viele große Momente,
aber auch die Härte der Stasi-Repression. Fast 35 Jahre nach ihrer Auflösung
erscheint zum ersten Mal eine LP von Wutanfall. Wir hatten ein faszinierendes
Gespräch mit Schrammel, dem Herausgeber des Albums.
Wutanfall
war in Leipzig als erste Punkband bekannt. Sie erschienen 1981. Was war der
Einfluss der Band?
Wutanfall rekrutierte sich aus den ersten
Punks in Leipzig. Die Szene bestand damals aus einer kleinen Gruppe, die
sich aus allen Stadtteilen der Stadt gesucht und gefunden hatte. Wutanfall
wurde schnell das Flaggschiff, um die sich die Szene sammelte. Der Mittelpunkt
sozusagen. Schnell wurde Wutanfall über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt.
Sie spielten gemeinsam mit anderen Gruppen der ersten Generation DDR Punks in
Erfurt, Jena, Halle und Berlin. Durch ihre Geschwindigkeit und Energie auf der
Bühne galten sie als die „schnellste und beliebteste“ Punkband der DDR. Die
Auftritte waren legendär und jeder kannte Wutanfall. Bald war Leipzig die Stadt
mit der zweithöchsten Punkanhängerzahl in der Republik. Bis heute erinnern sich
viele an Wutanfall, kennen Geschichten der Band. Der damalige Einfluss zeigt
sich daran, dass bis heute kaum Literatur über DDR Punk veröffentlicht wurde,
wo die Band nicht explizit erwähnt wird.
Obwohl
Wutanfall bis heute legendär ist, ist es das erste Mal, dass eine LP mit ihrer
Arbeit zusammengestellt wird. War es schwierig gute Aufnahmen für die LP zu
finden?
Gute Aufnahmen von DDR Punk Bands zu finden
ist immer schwierig. Da die Gruppen ja illegal existierten, gab es keine
Möglichkeit offiziell in Studios zu gehen, um dort professionell aufzunehmen.
Gute Aufnahmetechnik, sogar ein gutes Mikrophon zu bekommen war ein Glückstreffer.
So blieb meist nur der Kassettenrecorder oder ein Tonband mit Raummikro um die
Musik im Proberaum aufzunehmen. Wutanfall hatten das Glück über ein gutes
Westmikro zu verfügen, welches bei einem Puhdys (DDR Rock Band Nr.1) Konzert in
Leipzig geklaut wurde. Dadurch ist auf den Wutanfall Aufnahmen der Gesang recht
gut verständlich. Das Problem war aber: überhaupt wieder Aufnahmen zu finden.
Die Band selbst hatte nur noch ein einziges Tape. Erst über die alten
Verbindungen zu Freunden der Band fand sich wieder mehr Material zusammen. Da
hatte einer noch ein Tonband und dort gab es noch einen Livemitschnitt. Die
Wutanfaller selbst haben sich darüber sehr gefreut und gestaunt was die Zeiten
überdauert hat. Die Sachen sind immerhin 38 Jahre alt und viele Songs waren bereits
in Vergessenheit geraten.
Wutanfall
war am Anfang nicht solch eine politische Band. Es war eher der Kontext, der es
politisch machte. 1983 wurde die Stasi angewiesen, hart gegen Punks zu sein.
Warum?
Die Punks der ersten Generation waren anfangs
nicht politisch oder gar staatsfeindlich eingestellt. Punk war eine Jugendbewegung
von Leuten, die Spaß an der Musik und am Aussehen hatten. Was von staatlicher
Seite vorgegeben wurde, reichte ihnen nicht aus. Sie testeten ihre Grenzen.
Schnell war in der DDR genau dies das Politikum. Ihr Aussehen passte nicht in
den real existierenden Sozialismus. Was diese jungen Typen da machten, konnte
nicht harmlos sein. Darüber war sich der Staatsapparat schnell einig. Es passte
nicht ins sozialistische Weltbild des positiven Fortschritts und musste daher
weg.
Trotz der - anfänglich nicht vorrangig - staatsfeindlichen
Texte der Bands waren diese doch ein Politikum. Sie prangerten offen die
Widersprüche in der DDR an und benannten diese klar. Dies machten die übrigen Musikgruppen
der DDR höchstens verschleiert und sehr vorsichtig. Bei den Punkbands wurde nun
offen der Verfall der Städte, die Doppelmoral in der DDR, die Sinnlosigkeit der
Planstellen oder die vergiftete Umwelt besungen. Das war einfach viel zu offen
für DDR-Verhältnisse. Bis 1983 war die Szene ständig gewachsen und nicht wenige
Punks hatten bereits negative Kontakte mit der Polizei, der Staatssicherheit
und auch dem normalen Bürger, auf Arbeit und in der Schule gemacht. Die Texte verschärften
sich zusehends und die Punks waren zudem aus dem städtischen Bild nicht mehr zu
vertreiben. So erging von Minister Mielke, dem obersten Chef des Ministeriums
für Staatssicherheit, der Befehl „Härte gegen Punk“ zu zeigen und „die Samthandschuhe
auszuziehen“, also eine Endlösung herbeizuführen und die Punkszene zu
vernichten. Dies wurde umgesetzt indem angeblich führende Köpfe der Szene
kriminalisiert und verhaftet wurden, andere aus der DDR ausgewiesen wurden oder
zur Armee eingezogen wurden. Andere wurden psychisch so unter Druck gesetzt,
dass sie sich von der Punkszene distanzierten. Manche bekamen den PM12, einen
Ersatzausweis, der unter anderem das Reisen in sozialistische Bruderländer
unmöglich machte und der Polizei die Möglichkeit gab den Besitzer dieses
Ausweises grundlos für 24 Stunden inhaftieren zu können. All diese Maßnahmen
schienen am Anfang von Erfolg gekrönt zu sein. Die Szene war 1984 tatsächlich
ausgedünnt. Es hatte aber eben auch die Wirkung, dass die, die diese
Repressionen über sich ergehen lassen mussten, nun sehr genau wussten, was sie
von diesem Staat zu halten hatten. Sie radikalisierten sich. Die DDR hat sich
ihre Staatsfeinde selbst gemacht. Denn genau das waren die Punks nun.
Die
Stasi hatte sogar ein spezielles Programm für die Auflösung von Wutanfalls: OPK
Stern. Es scheint, dass Sänger Chaos ein besonderes Ziel dieses Programms war.
Mit welchen Methoden hat die Stasi Menschen wie Chaos eingeschüchtert?
Chaos war der Sänger von Wutanfall. Wutanfall
war ja aus Sicht der Stasi der Kern des Übels in Leipzig. Sie gingen davon aus,
dass es einen Anführer geben muss. Und bei einer Band muss der Anführer der
Sänger sein. So hat sich die Stasi auf Chaos besonders eingeschossen. Das Ziel
der OPK „Stern“ war es, die Band zu zersetzen und zu vernichten. Wie dieses Ziel
erreicht werden soll, ist eindeutig in der OPK „Stern“ benannt: Den Sänger
psychisch unter Druck setzen, um damit die Band zu verunsichern. Dies bedeutete
in der Realität, dass Chaos teilweise mehrfach in der Woche zum Verhör abgeholt
wurde, Verbote wie Innenstadtverbot erhielt oder an Festtagen wie dem 1. Mai
Hausarrest bekam. Er wurde nachts von der Polizei unter fadenscheinigen Gründen
aus dem Bett geholt und drangsaliert. Körperliche Gewalt kam ebenfalls hinzu.
Chaos erzählt beispielsweise von einer Fahrt in den Wald, wo er von mehreren
Leuten der Staatssicherheit mit einem Sack über dem Kopf bewusstlos geprügelt
wurde. All dies diente der totalen Einschüchterung. Es ist heute kaum
vorstellbar, aber es gab keine Möglichkeit diese Dinge irgendwie anzuprangern
oder eine Anzeige zu erstatten. Die Punks in einem Alter von höchstens 19
Jahren waren den Staatsrepressionen komplett ausgeliefert. Und genau dieses
Gefühl des „komplett ausgeliefert seins“ wollte die Staatssicherheit erreichen.
Die
Stasi suchte auch nach Inoffiziellen Mitarbeitern - IM - in der Punkszene. Sie
konnten zwei Musiker von Wutanfall rekrutieren. Wie konnten sie diese Leute
davon überzeugen, an ihrem Programm teilzunehmen und was wollten sie von ihnen?
Der Einsatz von Spitzeln diente dazu, die
Szene zu unterwandern, Informationen zu beschaffen, beispielsweise wann und wo
illegale Konzerte stattfinden sollen und die Punks von innen zu zersetzen. Das
war eine gängige Methode, die auch bei anderen oppositionellen Gruppierungen
genutzt wurde.
Die Gründe für die Mitarbeit sind von Fall zu
Fall unterschiedlich und müssen tatsächlich differenziert betrachtet werden. Es
gibt Fälle, bei denen klare Erpressung Grund für die Mitarbeit ist („entweder du
arbeitest für uns oder du gehst in den Knast“). Es gibt aber auch Fälle, bei
denen Geld und Abenteuerlust der Grund sind. Manche haben versucht, mit der
Stasi zu spielen und nur irrelevante Dinge weiterzugeben. Das war natürlich
eine Fehleinschätzung, denn auch die kleinste Information wurde in dem riesigen
Apparat „Staatssicherheit“ weiterverarbeitet und zusammengepuzzelt.
Im Umfeld von Wutanfall gibt es einige IM die
über die Band berichteten. Die beiden Bandmitglieder sind natürlich besonders problematisch.
Im Falle von IM „Schwarz“ dem zeitweiligen
Gitarristen der Band war Abenteuerlust und finanzielle Stimulierung der Grund
für die Zusammenarbeit. Er galt als Hehler, hatte keine Lust. arbeiten zu gehen
(in der DDR galt Arbeitspflicht) und war daher in permanenter Geldnot. Er hat
seine Mitarbeit dazu genutzt, Leute, die ihm im Wege waren, ans Messer zu
liefern. Nachweislich ist er dafür verantwortlich, dass mehrere Leute durch
seinen Verrat hohe Haftstrafen absitzen mussten. Er galt bis zu seiner Enttarnung
durch die Akteneinsicht von Stracke, Anfang der Neunziger Jahre, als eine Art „Szeneguru“
in Leipzig.
IM „Käptn“ der Bassist der Band erhoffte sich
eine Wohnzuweisung durch seine Mitarbeit. Er wohnte illegal in einem zum Abriss
freigegebenen Haus. Wohnungen wurden ja in der DDR zugeteilt. Als Punk,
unverheiratet und ohne Kinder gab es kaum die Möglichkeit, Wohnraum legal zu
bekommen. „Käptn“ ist ein klarer „Angst-IM“. Also er versucht sich selbst aus
der Schussbahn zu bekommen, ohne die Konsequenzen für ein „Nein“-Sagen
abzukriegen, aber auch, die Band nicht aufgeben zu müssen. Seine Aufgabe
bestand darin, Auftritte der Band zu verhindern, die Band in ruhigem Fahrwasser
zu halten und über Bewegungen in der Gruppe zu berichten. Er behauptet, nur mit
der Stasi zusammengearbeitet zu haben, um sie auf falsche Fährten zu locken.
Aus den Akten geht hervor, dass er tatsächlich immer wieder laviert und sich
windet.
Trotzdem bleibt in beiden Fällen der Verrat
von Freunden. Egal wie intensiv und aus welchen Gründen die Zusammenarbeit mit
der Stasi tatsächlich war. Das ist das Tragische. Trotz der beiden IM war
Wutanfall nie eine von der Stasi gelenkte Band. Die Gruppe war immer, zu jeder
Zeit, eigenständig.
Als die
Berliner Band "Namenslos" - vielleicht die radikalste
Anti-System-Band der DDR - inhaftiert wurde, zeigten sich Punks in Leipzig
solidarisch und wurden ebenfalls eingesperrt. Kannst du uns mehr darüber
erzählen?
Namenlos hatten garantiert die
systemkritischsten Texte der damaligen DDR Punk Szene. Das war ganz klar staatsfeindlich.
Aus heutiger Sicht ein extrem mutiges Konzept, aber eben auch ein
Suizidkommando. Die Band wurde nach ihrem dritten öffentlichen Auftritt bei der
Bluesmesse 83 in Berlin verhaftet und zu hohen Haftstrafen verurteilt. Das war
schon eine Machtdemonstration des Staates, die auch der Abschreckung dienen
sollte.
Es gab engen Kontakt zwischen Leipziger Punks
aus dem Wutanfall Umfeld und den Namenlos Mitgliedern in Berlin. Kurz vor der
Inhaftierung der Band hatten einige Leipziger die Berliner noch besucht und
waren mit ihnen in Berlin sprayen gewesen. Während einer Fete in Leipzig
Grünau, dem Vorzeigeneubaustadtviertel Leipzigs, kamen 4 Leipziger auf die Idee,
ein Zeichen setzen zu müssen. Im alkoholisiertem Zustand haben sie dann nachts
die sozialistisch angemalten Stromhäuschen in Grünau besprüht (auf die war die
Stadt besonders stolz). Das ging von
Worten wie „Bullenstaat“ bis hin zu dem Satz „Freiheit für Jana, Mita und A-Micha“
den Bandmitgliedern von Namenlos. Unter anderem durch den Verrat von IM „Schwarz“
verhaftete die Stasi bereits 2 Tage später die Sprayer. Die Tat wurde
allerdings nicht, wie von den Angeklagten gedacht als „Zerstörung öffentlichen
Eigentums“, sondern als „Politische Tat“ eingestuft auf die Haft stand. Die
Sprayer wurden daher zu Freiheitsstrafen von 7 Monaten bis zu einem Jahr
Gefängnis verurteilt.
1983
verließ Chaos Wutanfall. Er wurde für kurze Zeit von Stracke abgelöst. Stracke
gründete daraufhin L'Attentat - mit Imad, der ein IM war - als eine viel politischere
Punkband. Was war die Motivation von Stracke?
Stracke hatte ja bereits mit Imad und Ratte
eine Band namens HAU, die neben Wutanfall in Leipzig existierte. Als Chaos
Wutanfall verließ, sprang Stracke als Sänger bei Wutanfall ein. Das war nur logisch,
da er bereits vorher einige Male als Sänger bei Proben eingesprungen war, wenn
Chaos verhindert war und er dadurch die Texte kannte. Anfang 1984 verließ
Typhus, der Gitarrist, Wutanfall und Imad stieg als Gitarrist ein. So gab es
einige Zeit Überschneidungen in der Besetzung der beiden Bands. Imad kam, bevor
er Punk wurde, aus der Anarchoszene und Ratte sowie Stracke hatten 1984 bereits
Knasterfahrung und waren daher klar radikalisiert. Zappa und Rotz entwickelten
in dieser Zeit bereits andere musikalische Wege. Zappa machte bereits mit Chaos
das Noiseprojekt „Pffft…!“ und gemeinsam
mit Rotz die Band Delta Z mit lyrischeren Texten als bei Wutanfall. So löste
sich Wutanfall Mitte 1984 auf. Stracke ging mit Imad und Ratte den, für sie
logischen Weg aus dem Erlebten mit Polizei, DDR Bürgern und Stasi. Musik als
Waffe sozusagen. Alle hatten einen Ausreiseantrag in die BRD laufen und hatten
nichts mehr zu verlieren. Daher war das Motto der neu gegründeten Band L’Attentat
auch „Jetzt erst recht“.
Wie
viele andere Punks reichte Stracke eine Ausreiseantrag ein um das Land zu verlassen. Er
berücksichtigte, dass er, wenn er inhaftiert würde, von der BRD freigekauft
würde, was tatsächlich geschah. Andere Punks mussten jahrelang auf ihre
Ausreise warten. Warum war das?
Stracke wurde 1985 verhaftet, weil er über die
DDR Punk Szene in westlichen Fanzines geschrieben hatte. Das galt als „Verbindungsaufnahme
zum Feind mit dem Ziel der DDR zu schaden“. Jedenfalls wurde dies so ausgelegt.
Er wurde dafür gemeinsam mit seiner Frau Marlies, die die Texte auf der
Schreibmaschine getippt hatte und daher Mittäterin war, zu einem Jahr und 7
Monaten Haft verurteilt. Als politische Häftlinge wurden er und seine Frau vom
Westen freigekauft. Das war eine gängige Methode, da die DDR an Devisen
interessiert war. Freikauf war aber nur bei Häftlingen möglich. Wie und warum
manche länger warten mussten und manche eher rauskamen ist sehr schwierig zu
beantworten. Zappa durfte 1986 ausreisen, weil er als Wehrdienstverweigerer
Stress gemacht hatte. Imad kam erst nach Aufkündigung seiner Mitarbeit mit dem
MfS im Frühjahr 89 raus. Warum beispielsweise Chaos oder Ratte bis 1989
schmoren mussten, obwohl sie bereits 1984 den Ausreiseantrag gestellt hatten,
bleibt höchst spekulativ. Vielleicht war es tatsächlich eine Machtdemonstration
des Staates.
Als die
Repression stärker wurde, fanden die Punks einen sicheren Zufluchtsort in den
Kirchen der DDR, die ihre Türen für Punkkonzerte und Festivals öffneten. Der
Lebensstil der Punks war jedoch sehr anders als der der hingebungsvollen
Christen. Hat das nicht zu Konflikten geführt?
Ja, das hat zu Konflikten geführt und ist auch
nicht in allen Städten gutgegangen. Es war auch nicht die Kirche, welche die
Türen für die Punks aufgemacht hat, sondern einzelne, mutige Pfarrer und Jugenddiakone,
wie Lorenz Postler in Halle, die gesehen haben, dass die Punks einen
Zufluchtsort benötigen. Oftmals haben sie gegen starke Widerstände aus der
Gemeinde arbeiten müssen.
Kirche war ein sicherer Raum. Auf dem
kirchlichen Territorium konnte die Staatsmacht, jedenfalls nicht offiziell,
eingreifen. Angefangen hat das mit den Trampern und Bluesern, die in Kirchen
Bluesmessen organisiert haben. Anfang der Achtziger wurden diese dann durch die
Punks abgelöst. Auch das nicht überall konfliktfrei. Die Punks richtig in die
Kirchenkreise zu integrieren hat nirgends wirklich funktioniert. In Berlin,
Halle oder auch Leipzig hatten die Punks zwar später Räume zur Verfügung, waren
aber nicht kirchlich eingebunden. So entstand in Berlin beispielsweise die „Kirche
von unten“ oder in Leipzig der „Mockauer Keller“. In Erfurt aber hat die Kirche
schnell die Türen für die Punks wieder zugemacht, da diese sich überhaupt nicht
an die Hausregeln der Kirche gehalten haben.
Es gab
andere Probleme mit den Festivals in Kirchen. Ich habe von zwei legendären
Punk-Festivals in einer Kirche in Halle gehört. Kannst du uns erzählen, was
dort passiert ist?
Am 30.4.83 fand in der Christuskirche in Halle
das erste, große Punkfestival der DDR statt. Organisiert haben das damals
Moritz Götze und die aus Halle stammende, Jana Schlosser, Sängerin von
Namenlos. Über deren Kontakte wurden Bands aus der gesamten DDR eingeladen. Es
kamen Hunderte von Punks aus der gesamten Republik, sodass die Staatssicherheit
und Polizei völlig überfordert waren, weil sie die Anzahl der Konzertbesucher
unterschätzt hatten. Daher gelangten viele zum Konzertort und erlebten dort die
Bands HAU, Unerwünscht, Namenlos, Wutanfall, Planlos, Restbestand und
Größenwahn, die damaligen Speerspitzen des DDR-Punk. Von dem Erfolg des
Festivals angetrieben sollte dies am 22.10.83 wiederholt werden. Diesmal hatte
die Staatssicherheit allerdings vorgesorgt. Jugendliche wurden bereits im
Vorfeld daran gehindert, ihre Städte zu verlassen. Ganze Züge wurden von Halle
aus zurückgeschickt und Punks die am Bahnhof Halle ankamen, wurden sofort
verhaftet. Nur wenige Konzertbesucher erreichten dadurch die Christuskirche.
Auch die geplanten Bands kamen nicht durch. So musste improvisiert werden. Das
Programm vor circa. 70 Leuten bestand dann aus einem Theaterstück und einer
improvisierten Band. Der Erfolg des ersten Festivals ist bis heute ein Zeichen
für die Durchsetzungskraft der Punks in der DDR, der Misserfolg des zweiten Festivals
eher ein Zeichen dafür, mit welcher Härte die Staatssicherheit nach Mielkes
Befehl gegen die Punks vorging.
1989
waren die Montagsdemonstrationen in Leipzig das erste Anzeichen dafür, dass die
DDR auseinander fiel. Welche Rolle spielten die Punks bei diesen Ereignissen?
Die ersten öffentlichen Anzeichen hatten sich
bereits bei der Wahl im Mai 89 gezeigt, wo zum ersten Mal unabhängige
Wahlbeobachter nachweisen konnten, dass die Wahlen manipuliert waren. Bei den
ersten Montagsdemonstrationen in Leipzig waren natürlich auch die Leute aus dem
„Mockauer Keller“ dabei. Nicht nur Punks.
Sie haben Transparente und Banner gemalt, sind vorneweg gelaufen. Haben
die Sache maßgeblich mit ins Rollen gebracht. Später hat dieser Kreis die
„Reaktionskonzerte“ veranstaltet. Die Einnahmen der Konzerte wurden für die Verhandlungskosten
der Verhafteten während den Demonstrationen gespendet. Als das neue Forum
allerdings das Sprachrohr der Montagsdemonstrationen wurde, distanzierten sich
die Punks von den Demonstrationen und den neuen Forderungen nach einer
Wiedervereinigung. Die Punks wollten die DDR verändern, nicht die Einheit
bewirken. Später kippte die Stimmung bei den Montagsdemonstrationen zusehends
und immer mehr neofaschistische Züge setzten sich durch. An der Spitze liefen
nun Neonazis und Republikaner. Und der Rest lief ihnen hinterher. Aus dem „Wir
sind das Volk“ wurde „Wir sind ein Volk“. Da hat sich die Gruppe um den
Mockauer Kreis gegen die
Montagsdemonstrationen gewandt und sind ihnen entgegengelaufen. Sie wurden als
„Stasikinder“ beschimpft. Von den Menschen, die bisher geschwiegen hatten und
sich nun in einem Zug von Hunderttausenden mächtig fühlten. Das muss wehgetan
haben. – So habe ich mir es erzählen lassen von denen, die dabei waren.
Die Punkszene an sich betrachtet, denke ich,
ist ein kleiner Haarriss in der Mauer des DDR Systems gewesen. Genauso wie
andere oppositionelle Gruppen haben sie ihren Teil mit dazu beigetragen, dass
die DDR untergegangen ist.
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