zaterdag 1 september 2018

Wutanfall & DDR-punk: Die Punkszene ist ein kleiner Haarriss in der Mauer des DDR Systems gewesen.

Punk hatte schon immer Freude daran, gegen schmerzende Schienbeine zu treten. Das konnte schwerwiegende Konsequenzen haben. Im kapitalistischen Westen - wo Punk entstand - aber mehr noch im kommunistischen Osten, wo freie Meinungsäußerung sehr relativ war. Wutanfall war eine der ersten Punkbands in der DDR. Sie erlebten viele große Momente, aber auch die Härte der Stasi-Repression. Fast 35 Jahre nach ihrer Auflösung erscheint zum ersten Mal eine LP von Wutanfall. Wir hatten ein faszinierendes Gespräch mit Schrammel, dem Herausgeber des Albums.

Wutanfall war in Leipzig als erste Punkband bekannt. Sie erschienen 1981. Was war der Einfluss der Band?

Wutanfall rekrutierte sich aus den ersten Punks in Leipzig. Die Szene bestand damals aus einer kleinen Gruppe, die sich aus allen Stadtteilen der Stadt gesucht und gefunden hatte. Wutanfall wurde schnell das Flaggschiff, um die sich die Szene sammelte. Der Mittelpunkt sozusagen. Schnell wurde Wutanfall über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt. Sie spielten gemeinsam mit anderen Gruppen der ersten Generation DDR Punks in Erfurt, Jena, Halle und Berlin. Durch ihre Geschwindigkeit und Energie auf der Bühne galten sie als die „schnellste und beliebteste“ Punkband der DDR. Die Auftritte waren legendär und jeder kannte Wutanfall. Bald war Leipzig die Stadt mit der zweithöchsten Punkanhängerzahl in der Republik. Bis heute erinnern sich viele an Wutanfall, kennen Geschichten der Band. Der damalige Einfluss zeigt sich daran, dass bis heute kaum Literatur über DDR Punk veröffentlicht wurde, wo die Band nicht explizit erwähnt wird.

Obwohl Wutanfall bis heute legendär ist, ist es das erste Mal, dass eine LP mit ihrer Arbeit zusammengestellt wird. War es schwierig gute Aufnahmen für die LP zu finden?

Gute Aufnahmen von DDR Punk Bands zu finden ist immer schwierig. Da die Gruppen ja illegal existierten, gab es keine Möglichkeit offiziell in Studios zu gehen, um dort professionell aufzunehmen. Gute Aufnahmetechnik, sogar ein gutes Mikrophon zu bekommen war ein Glückstreffer. So blieb meist nur der Kassettenrecorder oder ein Tonband mit Raummikro um die Musik im Proberaum aufzunehmen. Wutanfall hatten das Glück über ein gutes Westmikro zu verfügen, welches bei einem Puhdys (DDR Rock Band Nr.1) Konzert in Leipzig geklaut wurde. Dadurch ist auf den Wutanfall Aufnahmen der Gesang recht gut verständlich. Das Problem war aber: überhaupt wieder Aufnahmen zu finden. Die Band selbst hatte nur noch ein einziges Tape. Erst über die alten Verbindungen zu Freunden der Band fand sich wieder mehr Material zusammen. Da hatte einer noch ein Tonband und dort gab es noch einen Livemitschnitt. Die Wutanfaller selbst haben sich darüber sehr gefreut und gestaunt was die Zeiten überdauert hat. Die Sachen sind immerhin 38 Jahre alt und viele Songs waren bereits in Vergessenheit geraten.

Wutanfall war am Anfang nicht solch eine politische Band. Es war eher der Kontext, der es politisch machte. 1983 wurde die Stasi angewiesen, hart gegen Punks zu sein. Warum?

Die Punks der ersten Generation waren anfangs nicht politisch oder gar staatsfeindlich eingestellt. Punk war eine Jugendbewegung von Leuten, die Spaß an der Musik und am Aussehen hatten. Was von staatlicher Seite vorgegeben wurde, reichte ihnen nicht aus. Sie testeten ihre Grenzen. Schnell war in der DDR genau dies das Politikum. Ihr Aussehen passte nicht in den real existierenden Sozialismus. Was diese jungen Typen da machten, konnte nicht harmlos sein. Darüber war sich der Staatsapparat schnell einig. Es passte nicht ins sozialistische Weltbild des positiven Fortschritts und musste daher weg.

Trotz der -  anfänglich nicht vorrangig - staatsfeindlichen Texte der Bands waren diese doch ein Politikum. Sie prangerten offen die Widersprüche in der DDR an und benannten diese klar. Dies machten die übrigen Musikgruppen der DDR höchstens verschleiert und sehr vorsichtig. Bei den Punkbands wurde nun offen der Verfall der Städte, die Doppelmoral in der DDR, die Sinnlosigkeit der Planstellen oder die vergiftete Umwelt besungen. Das war einfach viel zu offen für DDR-Verhältnisse. Bis 1983 war die Szene ständig gewachsen und nicht wenige Punks hatten bereits negative Kontakte mit der Polizei, der Staatssicherheit und auch dem normalen Bürger, auf Arbeit und in der Schule gemacht. Die Texte verschärften sich zusehends und die Punks waren zudem aus dem städtischen Bild nicht mehr zu vertreiben. So erging von Minister Mielke, dem obersten Chef des Ministeriums für Staatssicherheit, der Befehl „Härte gegen Punk“ zu zeigen und „die Samthandschuhe auszuziehen“, also eine Endlösung herbeizuführen und die Punkszene zu vernichten. Dies wurde umgesetzt indem angeblich führende Köpfe der Szene kriminalisiert und verhaftet wurden, andere aus der DDR ausgewiesen wurden oder zur Armee eingezogen wurden. Andere wurden psychisch so unter Druck gesetzt, dass sie sich von der Punkszene distanzierten. Manche bekamen den PM12, einen Ersatzausweis, der unter anderem das Reisen in sozialistische Bruderländer unmöglich machte und der Polizei die Möglichkeit gab den Besitzer dieses Ausweises grundlos für 24 Stunden inhaftieren zu können. All diese Maßnahmen schienen am Anfang von Erfolg gekrönt zu sein. Die Szene war 1984 tatsächlich ausgedünnt. Es hatte aber eben auch die Wirkung, dass die, die diese Repressionen über sich ergehen lassen mussten, nun sehr genau wussten, was sie von diesem Staat zu halten hatten. Sie radikalisierten sich. Die DDR hat sich ihre Staatsfeinde selbst gemacht. Denn genau das waren die Punks nun.

Die Stasi hatte sogar ein spezielles Programm für die Auflösung von Wutanfalls: OPK Stern. Es scheint, dass Sänger Chaos ein besonderes Ziel dieses Programms war. Mit welchen Methoden hat die Stasi Menschen wie Chaos eingeschüchtert?

Chaos war der Sänger von Wutanfall. Wutanfall war ja aus Sicht der Stasi der Kern des Übels in Leipzig. Sie gingen davon aus, dass es einen Anführer geben muss. Und bei einer Band muss der Anführer der Sänger sein. So hat sich die Stasi auf Chaos besonders eingeschossen. Das Ziel der OPK „Stern“ war es, die Band zu zersetzen und zu vernichten. Wie dieses Ziel erreicht werden soll, ist eindeutig in der OPK „Stern“ benannt: Den Sänger psychisch unter Druck setzen, um damit die Band zu verunsichern. Dies bedeutete in der Realität, dass Chaos teilweise mehrfach in der Woche zum Verhör abgeholt wurde, Verbote wie Innenstadtverbot erhielt oder an Festtagen wie dem 1. Mai Hausarrest bekam. Er wurde nachts von der Polizei unter fadenscheinigen Gründen aus dem Bett geholt und drangsaliert. Körperliche Gewalt kam ebenfalls hinzu. Chaos erzählt beispielsweise von einer Fahrt in den Wald, wo er von mehreren Leuten der Staatssicherheit mit einem Sack über dem Kopf bewusstlos geprügelt wurde. All dies diente der totalen Einschüchterung. Es ist heute kaum vorstellbar, aber es gab keine Möglichkeit diese Dinge irgendwie anzuprangern oder eine Anzeige zu erstatten. Die Punks in einem Alter von höchstens 19 Jahren waren den Staatsrepressionen komplett ausgeliefert. Und genau dieses Gefühl des „komplett ausgeliefert seins“ wollte die Staatssicherheit erreichen.

Die Stasi suchte auch nach Inoffiziellen Mitarbeitern - IM - in der Punkszene. Sie konnten zwei Musiker von Wutanfall rekrutieren. Wie konnten sie diese Leute davon überzeugen, an ihrem Programm teilzunehmen und was wollten sie von ihnen?

Der Einsatz von Spitzeln diente dazu, die Szene zu unterwandern, Informationen zu beschaffen, beispielsweise wann und wo illegale Konzerte stattfinden sollen und die Punks von innen zu zersetzen. Das war eine gängige Methode, die auch bei anderen oppositionellen Gruppierungen genutzt wurde.

Die Gründe für die Mitarbeit sind von Fall zu Fall unterschiedlich und müssen tatsächlich differenziert betrachtet werden. Es gibt Fälle, bei denen klare Erpressung Grund für die Mitarbeit ist („entweder du arbeitest für uns oder du gehst in den Knast“). Es gibt aber auch Fälle, bei denen Geld und Abenteuerlust der Grund sind. Manche haben versucht, mit der Stasi zu spielen und nur irrelevante Dinge weiterzugeben. Das war natürlich eine Fehleinschätzung, denn auch die kleinste Information wurde in dem riesigen Apparat „Staatssicherheit“ weiterverarbeitet und zusammengepuzzelt.

Im Umfeld von Wutanfall gibt es einige IM die über die Band berichteten. Die beiden Bandmitglieder sind natürlich besonders problematisch. Im Falle von IM „Schwarz“  dem zeitweiligen Gitarristen der Band war Abenteuerlust und finanzielle Stimulierung der Grund für die Zusammenarbeit. Er galt als Hehler, hatte keine Lust. arbeiten zu gehen (in der DDR galt Arbeitspflicht) und war daher in permanenter Geldnot. Er hat seine Mitarbeit dazu genutzt, Leute, die ihm im Wege waren, ans Messer zu liefern. Nachweislich ist er dafür verantwortlich, dass mehrere Leute durch seinen Verrat hohe Haftstrafen absitzen mussten. Er galt bis zu seiner Enttarnung durch die Akteneinsicht von Stracke, Anfang der Neunziger Jahre, als eine Art „Szeneguru“ in Leipzig.

IM „Käptn“ der Bassist der Band erhoffte sich eine Wohnzuweisung durch seine Mitarbeit. Er wohnte illegal in einem zum Abriss freigegebenen Haus. Wohnungen wurden ja in der DDR zugeteilt. Als Punk, unverheiratet und ohne Kinder gab es kaum die Möglichkeit, Wohnraum legal zu bekommen. „Käptn“ ist ein klarer „Angst-IM“. Also er versucht sich selbst aus der Schussbahn zu bekommen, ohne die Konsequenzen für ein „Nein“-Sagen abzukriegen, aber auch, die Band nicht aufgeben zu müssen. Seine Aufgabe bestand darin, Auftritte der Band zu verhindern, die Band in ruhigem Fahrwasser zu halten und über Bewegungen in der Gruppe zu berichten. Er behauptet, nur mit der Stasi zusammengearbeitet zu haben, um sie auf falsche Fährten zu locken. Aus den Akten geht hervor, dass er tatsächlich immer wieder laviert und sich windet.

Trotzdem bleibt in beiden Fällen der Verrat von Freunden. Egal wie intensiv und aus welchen Gründen die Zusammenarbeit mit der Stasi tatsächlich war. Das ist das Tragische. Trotz der beiden IM war Wutanfall nie eine von der Stasi gelenkte Band. Die Gruppe war immer, zu jeder Zeit, eigenständig.  

Als die Berliner Band "Namenslos" - vielleicht die radikalste Anti-System-Band der DDR - inhaftiert wurde, zeigten sich Punks in Leipzig solidarisch und wurden ebenfalls eingesperrt. Kannst du uns mehr darüber erzählen?

Namenlos hatten garantiert die systemkritischsten Texte der damaligen DDR Punk Szene. Das war ganz klar staatsfeindlich. Aus heutiger Sicht ein extrem mutiges Konzept, aber eben auch ein Suizidkommando. Die Band wurde nach ihrem dritten öffentlichen Auftritt bei der Bluesmesse 83 in Berlin verhaftet und zu hohen Haftstrafen verurteilt. Das war schon eine Machtdemonstration des Staates, die auch der Abschreckung dienen sollte.

Es gab engen Kontakt zwischen Leipziger Punks aus dem Wutanfall Umfeld und den Namenlos Mitgliedern in Berlin. Kurz vor der Inhaftierung der Band hatten einige Leipziger die Berliner noch besucht und waren mit ihnen in Berlin sprayen gewesen. Während einer Fete in Leipzig Grünau, dem Vorzeigeneubaustadtviertel Leipzigs, kamen 4 Leipziger auf die Idee, ein Zeichen setzen zu müssen. Im alkoholisiertem Zustand haben sie dann nachts die sozialistisch angemalten Stromhäuschen in Grünau besprüht (auf die war die Stadt besonders stolz).  Das ging von Worten wie „Bullenstaat“ bis hin zu dem Satz „Freiheit für Jana, Mita und A-Micha“ den Bandmitgliedern von Namenlos. Unter anderem durch den Verrat von IM „Schwarz“ verhaftete die Stasi bereits 2 Tage später die Sprayer. Die Tat wurde allerdings nicht, wie von den Angeklagten gedacht als „Zerstörung öffentlichen Eigentums“, sondern als „Politische Tat“ eingestuft auf die Haft stand. Die Sprayer wurden daher zu Freiheitsstrafen von 7 Monaten bis zu einem Jahr Gefängnis verurteilt.

1983 verließ Chaos Wutanfall. Er wurde für kurze Zeit von Stracke abgelöst. Stracke gründete daraufhin L'Attentat - mit Imad, der ein IM war - als eine viel politischere Punkband. Was war die Motivation von Stracke?

Stracke hatte ja bereits mit Imad und Ratte eine Band namens HAU, die neben Wutanfall in Leipzig existierte. Als Chaos Wutanfall verließ, sprang Stracke als Sänger bei Wutanfall ein. Das war nur logisch, da er bereits vorher einige Male als Sänger bei Proben eingesprungen war, wenn Chaos verhindert war und er dadurch die Texte kannte. Anfang 1984 verließ Typhus, der Gitarrist, Wutanfall und Imad stieg als Gitarrist ein. So gab es einige Zeit Überschneidungen in der Besetzung der beiden Bands. Imad kam, bevor er Punk wurde, aus der Anarchoszene und Ratte sowie Stracke hatten 1984 bereits Knasterfahrung und waren daher klar radikalisiert. Zappa und Rotz entwickelten in dieser Zeit bereits andere musikalische Wege. Zappa machte bereits mit Chaos das Noiseprojekt „Pffft…!“  und gemeinsam mit Rotz die Band Delta Z mit lyrischeren Texten als bei Wutanfall. So löste sich Wutanfall Mitte 1984 auf. Stracke ging mit Imad und Ratte den, für sie logischen Weg aus dem Erlebten mit Polizei, DDR Bürgern und Stasi. Musik als Waffe sozusagen. Alle hatten einen Ausreiseantrag in die BRD laufen und hatten nichts mehr zu verlieren. Daher war das Motto der neu gegründeten Band L’Attentat auch „Jetzt erst recht“.

Wie viele andere Punks reichte Stracke eine Ausreiseantrag ein um das Land zu verlassen. Er berücksichtigte, dass er, wenn er inhaftiert würde, von der BRD freigekauft würde, was tatsächlich geschah. Andere Punks mussten jahrelang auf ihre Ausreise warten. Warum war das?

Stracke wurde 1985 verhaftet, weil er über die DDR Punk Szene in westlichen Fanzines geschrieben hatte. Das galt als „Verbindungsaufnahme zum Feind mit dem Ziel der DDR zu schaden“. Jedenfalls wurde dies so ausgelegt. Er wurde dafür gemeinsam mit seiner Frau Marlies, die die Texte auf der Schreibmaschine getippt hatte und daher Mittäterin war, zu einem Jahr und 7 Monaten Haft verurteilt. Als politische Häftlinge wurden er und seine Frau vom Westen freigekauft. Das war eine gängige Methode, da die DDR an Devisen interessiert war. Freikauf war aber nur bei Häftlingen möglich. Wie und warum manche länger warten mussten und manche eher rauskamen ist sehr schwierig zu beantworten. Zappa durfte 1986 ausreisen, weil er als Wehrdienstverweigerer Stress gemacht hatte. Imad kam erst nach Aufkündigung seiner Mitarbeit mit dem MfS im Frühjahr 89 raus. Warum beispielsweise Chaos oder Ratte bis 1989 schmoren mussten, obwohl sie bereits 1984 den Ausreiseantrag gestellt hatten, bleibt höchst spekulativ. Vielleicht war es tatsächlich eine Machtdemonstration des Staates.

Als die Repression stärker wurde, fanden die Punks einen sicheren Zufluchtsort in den Kirchen der DDR, die ihre Türen für Punkkonzerte und Festivals öffneten. Der Lebensstil der Punks war jedoch sehr anders als der der hingebungsvollen Christen. Hat das nicht zu Konflikten geführt?

Ja, das hat zu Konflikten geführt und ist auch nicht in allen Städten gutgegangen. Es war auch nicht die Kirche, welche die Türen für die Punks aufgemacht hat, sondern einzelne, mutige Pfarrer und Jugenddiakone, wie Lorenz Postler in Halle, die gesehen haben, dass die Punks einen Zufluchtsort benötigen. Oftmals haben sie gegen starke Widerstände aus der Gemeinde arbeiten müssen.


Kirche war ein sicherer Raum. Auf dem kirchlichen Territorium konnte die Staatsmacht, jedenfalls nicht offiziell, eingreifen. Angefangen hat das mit den Trampern und Bluesern, die in Kirchen Bluesmessen organisiert haben. Anfang der Achtziger wurden diese dann durch die Punks abgelöst. Auch das nicht überall konfliktfrei. Die Punks richtig in die Kirchenkreise zu integrieren hat nirgends wirklich funktioniert. In Berlin, Halle oder auch Leipzig hatten die Punks zwar später Räume zur Verfügung, waren aber nicht kirchlich eingebunden. So entstand in Berlin beispielsweise die „Kirche von unten“ oder in Leipzig der „Mockauer Keller“. In Erfurt aber hat die Kirche schnell die Türen für die Punks wieder zugemacht, da diese sich überhaupt nicht an die Hausregeln der Kirche gehalten haben.

Es gab andere Probleme mit den Festivals in Kirchen. Ich habe von zwei legendären Punk-Festivals in einer Kirche in Halle gehört. Kannst du uns erzählen, was dort passiert ist?

Am 30.4.83 fand in der Christuskirche in Halle das erste, große Punkfestival der DDR statt. Organisiert haben das damals Moritz Götze und die aus Halle stammende, Jana Schlosser, Sängerin von Namenlos. Über deren Kontakte wurden Bands aus der gesamten DDR eingeladen. Es kamen Hunderte von Punks aus der gesamten Republik, sodass die Staatssicherheit und Polizei völlig überfordert waren, weil sie die Anzahl der Konzertbesucher unterschätzt hatten. Daher gelangten viele zum Konzertort und erlebten dort die Bands HAU, Unerwünscht, Namenlos, Wutanfall, Planlos, Restbestand und Größenwahn, die damaligen Speerspitzen des DDR-Punk. Von dem Erfolg des Festivals angetrieben sollte dies am 22.10.83 wiederholt werden. Diesmal hatte die Staatssicherheit allerdings vorgesorgt. Jugendliche wurden bereits im Vorfeld daran gehindert, ihre Städte zu verlassen. Ganze Züge wurden von Halle aus zurückgeschickt und Punks die am Bahnhof Halle ankamen, wurden sofort verhaftet. Nur wenige Konzertbesucher erreichten dadurch die Christuskirche. Auch die geplanten Bands kamen nicht durch. So musste improvisiert werden. Das Programm vor circa. 70 Leuten bestand dann aus einem Theaterstück und einer improvisierten Band. Der Erfolg des ersten Festivals ist bis heute ein Zeichen für die Durchsetzungskraft der Punks in der DDR, der Misserfolg des zweiten Festivals eher ein Zeichen dafür, mit welcher Härte die Staatssicherheit nach Mielkes Befehl gegen die Punks vorging.

1989 waren die Montagsdemonstrationen in Leipzig das erste Anzeichen dafür, dass die DDR auseinander fiel. Welche Rolle spielten die Punks bei diesen Ereignissen?

Die ersten öffentlichen Anzeichen hatten sich bereits bei der Wahl im Mai 89 gezeigt, wo zum ersten Mal unabhängige Wahlbeobachter nachweisen konnten, dass die Wahlen manipuliert waren. Bei den ersten Montagsdemonstrationen in Leipzig waren natürlich auch die Leute aus dem „Mockauer Keller“ dabei. Nicht nur Punks.  Sie haben Transparente und Banner gemalt, sind vorneweg gelaufen. Haben die Sache maßgeblich mit ins Rollen gebracht. Später hat dieser Kreis die „Reaktionskonzerte“ veranstaltet. Die Einnahmen der Konzerte wurden für die Verhandlungskosten der Verhafteten während den Demonstrationen gespendet. Als das neue Forum allerdings das Sprachrohr der Montagsdemonstrationen wurde, distanzierten sich die Punks von den Demonstrationen und den neuen Forderungen nach einer Wiedervereinigung. Die Punks wollten die DDR verändern, nicht die Einheit bewirken. Später kippte die Stimmung bei den Montagsdemonstrationen zusehends und immer mehr neofaschistische Züge setzten sich durch. An der Spitze liefen nun Neonazis und Republikaner. Und der Rest lief ihnen hinterher. Aus dem „Wir sind das Volk“ wurde „Wir sind ein Volk“. Da hat sich die Gruppe um den Mockauer Kreis gegen  die Montagsdemonstrationen gewandt und sind ihnen entgegengelaufen. Sie wurden als „Stasikinder“ beschimpft. Von den Menschen, die bisher geschwiegen hatten und sich nun in einem Zug von Hunderttausenden mächtig fühlten. Das muss wehgetan haben. – So habe ich mir es erzählen lassen von denen, die dabei waren.

Die Punkszene an sich betrachtet, denke ich, ist ein kleiner Haarriss in der Mauer des DDR Systems gewesen. Genauso wie andere oppositionelle Gruppen haben sie ihren Teil mit dazu beigetragen, dass die DDR untergegangen ist.


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